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Wenzel: Wenn wir warten (Review)

Artist:

Wenzel

Wenzel: Wenn wir warten
Album:

Wenn wir warten

Medium: CD
Stil:

Liedermacher, Folk

Label: Matrosenblau / Indigo
Spieldauer: 47:06
Erschienen: 02.12.2016
Website: [Link]

„Die Einen stehn stur an Gewehren
Und die Anderen zähln lässig das Geld
Und die Mächtigen reden und schwören
Als wär‘s nur ihre Welt.
Dann seh ich sie grienen voll Hochmut so fern,
Wenn nur diese Fratzen nicht wärn.

Die Einen warten auf Godot und die Anderen auf WENZEL.
Die Einen lieben Literatur, die Anderen Musik – WENZEL vereint sie, auch dort, wo nur noch Zerwürfnis herrscht.
Denn im Grunde haben beide Typen ganz ähnliche Interessen, ähnliche Ziele (Nur leider viel zu wenig Einfluss!) - ihnen geht es wie WENZEL, der ein ganz großer, sehr kritisch textender Liedermacher schon zu DDR-Zeiten war – und im Grunde ist er genau auch das heute noch, nur dass sich die Zeiten und das System geändert haben. Davon weiß WENZEL noch immer ein – nein diesmal genau 13 – Lied(er) zu singen. Und was wohl er genauso wie viele seiner Landsleute und Zeitgenossen nicht für möglich gehalten hätten, ist eingetreten: die Zeiten haben sich geändert, doch diese beiden Systeme, sie ähneln sich mehr als denjenigen lieb ist, die in der Hoffnung auf das „neue“ System unter Einsatz ihrer Existenz das „alte“ mit ihren Mitteln bekämpft haben.
Eine erfolgreiche friedliche Revolution, die nun ihre Kinder frisst!
So einer war auch WENZEL – und er singt davon noch immer Lieder. Keine nostalgischen, eher hoffnungsvolle und zugleich anklagende, getreu dem Grundsatz: „Das kann doch noch nicht alles gewesen sein!“
Nur reicht es da wirklich „Wenn wir warten“?
„Bindet mich fest am Mast und stopft mir meine Ohren / Zu mit Wachs, daß ich nichts hören kann, / All das Geschrei der Redner, wer es hört, der ist verloren, / Zu weit der Weg, sonst kommen wir nicht an / Wenn wir warten.“ („Wenn wir warten“)

Genau das ist die Lyrik eines WENZELs, der Autor, Liedermacher, Komponist, Sänger, Regisseur, Schauspieler, natürlich Musiker (Gitarre, Akkordeon, Piano, Rhodes, Gesang) und auch weltreisender Weltverbesserer ist. Einer, dem man viel zu wenig zuhört, weil das Zuhören irgendwie im Laufe der Jahre aus der Mode gekommen ist. Wie sollen wir das denn auch hinbekommen, wenn uns Tag für Tag ein Haufen Politiker, Werbestrategen, Bank- und Börsengiganten, Digitalisten, Kriegstreiber mit weiblicher Oberbefehlshaberin, Waffenexporteure, Wirtschaftsmagnaten und selbstverliebt-selbsternannte Rundum-Experten ihre Phrasen wie Pfropfen in unsere Ohren pflanzen. Und wir haben dummerweise nur zwei Ohren, dabei brauchten wir doch hunderte für all diese Pfropfen. Und dann kommt ein WENZEL daher und stochert in diesem übel riechenden Schmalz mit seinen Liedern herum. Schön, wenn er beim Einen oder Anderen damit noch durchkommt: „Noch immer flüstern in mir meine Helden, / Noch immer fordern all die Märchen ihr Recht, / Noch immer will ich Robin Hood vermelden, / Um unsre Sache steht es gar nicht schlecht.“ („Auf meiner Kindheit bunten Karussellen“)

Den WENZEL, den ich auf „Wenn wir warten“ wiederhöre, ist der, der mich noch zu DDR-Zeiten mit seinen gerade mal zwei Alben „Stirb mit mir ein Stück“ (Wow, was für ein Titel!) und „Reisebilder“ ein wenig Hoffnung gab, dass diese beschissene Mauer und das beschissene Bildungssystem, dem ich unterworfen war, vielleicht doch noch fallen könnten. Die beschissene Mauer fiel dann tatsächlich, das beschissene … ach ne, das ist ja ein völlig anderes Thema: „Es wuchsen Haar und Nägel und mein Zagen, / Ich war im Allgemeinen nie gescheit, / Ich war sehr glücklich, an sehr wen‘gen Tagen / Und trotzte manchmal meiner Bitterkeit.“ („Verbrannt nach Strich und Faden“)

Besonders schön ist, dass WENZEL sich auf seinem Album von einer Rundum-Band begleiten lässt, die seiner Musik ein zartes Folk- und Weltmusik-Gefühl verpassen und seinen Texten die Tiefe verleihen, die in jedem seiner Worte wohnt. Der DYLAN hat seinen Literatur-Nobelpreis verpasst bekommen, WENZEL wird diese Ehre wohl nie zuteil werden. Verdient hätte er sie aber – und auf 40 Alben hat er es schließlich in seiner über 35jährigen kunstvollen Künstlerzeit auch schon gebracht. Vielleicht warten wir‘s einfach mal ab, denn immerhin hat WENZEL vierzehn Jahre weniger auf dem literarischen Buckel als Mr. Dylan. Es gilt also „(Wenn) Wir warten“: „Es gleichen sich die Blicke überall der Hoffnungslosen, / Sie gleichen sich wie Supermärkte oder Torten, / Es gleichen sich die Klobecken an allen Orten, / Die Amokläufer und die Selbstmordattentäter / Und selbst die Autos all der Volksvertreter.“ („Gleichheit“) Wie wahr diese vorhersehenden Worte doch sind, mussten wir auf erschütternde Weise vor wenigen Tagen auf einem Berliner Weihnachtsmarkt erleben. Es reicht im Grunde, einfach mal genauer hinzuschauen, besser zu beobachten – all das tut WENZEL und seine Entdeckungen dabei präsentiert er uns in seinen Liedern: „Überall die gleiche Scheiße / Überall an jedem Fleck.“

Wenn dann auf „Halt an meinem Arm dich fest“ auch noch der Pazifist WENZEL in zarten, liebevollen Zeilen auf den Punkt bringt („Lern vom Regen, gib dich spielend her, / Bleibe tief, tief wie das Meer, / Halt behutsam fest, was uns verblieb. / Bleib bei dir und rüste nicht zum Krieg.“), dass Krieg die größte Scheiße auf dieser Welt ist, dann sind wir wieder zurück auf Anfang - „Stirb mit mir ein Stück“!

Suchten wir nicht gerade einen Bundespräsidenten?
Einen, der nicht labernd nur immer wieder seine Freiheit predigt und dabei so viel Anderes übersieht, das uns genau diese Freiheit – unsere eigene, ganz persönliche – nimmt.
Ach, wir wissen ja schon, welche Fratze wir nun bekommen. Eine immer gleiche: „Es gleichen sich die Phrasen aller Herrscher: Da wär nichts zu ändern! / Der Stacheldraht ist gleich, ob nun in freien oder unfreien Ländern... “ („Gleichheit“)
Warum bekommen wir eigentlich nie einen Künstler als Bundespräsidenten, der nicht nur labert, sondern singt und uns beweisen kann, dass seine ehrlichen Lieder auch die Richtschnur seines Handelns sind. Das würde uns allen gut tun – und sicher voranbringen. Ein WECKER oder ein WENZEL, das wäre doch was! Doch wir geben uns weiterhin zufrieden mit „Überall die gleiche Scheiße...“!

FAZIT: „Andere Länder sind fern. Fern ist das eigne Land.“ sang WENZEL auf seiner zweiten, noch in der DDR erschienenen LP „Reisebilder“. Damals hatten wir in der DDR ausschließlich das Gefühl, dass er damit unsere Mauer-Diktatur meinte. Hört man das aktuelle 2016er WENZEL-Album „Wenn wir warten“, dann wird einem beim Hören dieser wundervollen Lieder samt den fantastischen Texten, die als 30seitiges dick kartoniertes Booklet im Digipak eingeklebt sind, klar, dass diese Worte in erschreckender Weise heute auch auf das „andere“ Land, von dem wir damals noch hinter Mauern geträumt haben, zutreffen.

PS: Diese Review sollte als Gegenstück zur Neujahrsansprache von Angela Merkel verstanden werden, die statt Laber-Rhabarber eine Strophe aus WENZELs neuem Album hätte zitieren sollen:
Die Welt ist ein Meer voller Wunder,
Und die Sehnsucht ihr schönstes Gedicht
Und man stellt sie voll mit Dreck und Plunder,
Zerkratzt mit Kriegen ihr Gesicht.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 5109x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 14 von 15 Punkten [?]
14 Punkte
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Tracklist:
  • Welches Lied soll ich jetzt singen (Triest 2015)
  • Such mich nicht (Berlin 1992/2015)
  • Wenn wir warten (Jurilowka 2016)
  • Wie die Jahre rennen (Madeira 2015)
  • Auf meiner Kindheit bunten Karussellen (Berlin 2016)
  • An den Stränden (Hiddensee 2016)
  • Verbrannt nach Strich und Faden (Thessaloniki 2015)
  • Gleichheit (Tirana 2014)
  • Ich bin der Wind (Trutnow 2004)
  • Halt an meinem Arm dich fest (Wien 2015)
  • Wenn nur diese Fratzen nicht wären (Dresden 2015)
  • Nicht viel (Bugewitz 2016)
  • Mach mich wach (Barcelona 2016)

Besetzung:

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